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Daniel Yakubovich
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      • „Wie soll der Wiederaufbau aussehen?“
      • „Synagogen entwerfen ohne Juden?“
      • „Man macht das Zerstörte architektonisch ungeschehen“
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    • Kay Zareh (1943–2025)
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Daniel Yakubovich Daniel Yakubovich

Asche zu Asche — neue Formen einer lebendigen Erinnerung

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Wie hypertrophe Narben erheben sich mannshohe Erdaufschüttungen über dem Gelände der seinerzeit größten, 1958 gesprengten orthodoxen Synagoge Berlins – überwuchert von einem ungepflegten Dickicht, das sich wie ein Leichentuch über die Geschichte des Ortes und seine für Berlin ungewohnt hügelige Topographie legt.

Der vermutlich hohe Grundwasserspiegel am Landwehrkanal veranlasste den Gemeindebaumeister Alexander Beer, den 1916 eingeweihten Synagogenbau und seinen Hauptgebetssaal mit einem Fassungsvermögen von bis zu 2.000 Personen als Hochparterre mit entsprechendem Hochkeller zu konzipieren.1 Dieselben Kellerebenen der alten Synagoge korrespondieren auf eine ungewöhnliche Weise mit der Parklandschaft vor Ort, wie bei der allerersten Begehung des Grundstückes sofort Auffällig wurde. Wahrscheinlich wurden sie nach der Sprengung lediglich mit Erde überschüttet, woraufhin die Natur sie sich – Stück um Stück – zurückeroberte – wie Kay Zareh M.C.D. vermutet.

Meine Anfragen beim Straßen- und Grünflächenamt Kreuzberg2 sowie bei der Bauaktenkammer blieben ohne Nachweis eines „Trümmerscheins“3 – jenes Dokuments, das belegen würde, ob die beauftragte Firma im Sinne des „Gesetzes über die Abräumung von Trümmergrundstücken (Enttrümmerungsgesetz)“ vom 25. November 1954 auch „gründlich“ arbeitete und unter baupolizeilicher Aufsicht die Fläche restlos beräumt wurde. Hinweise auf eine absichtsvolle Nachgestaltung der Baulücke, wie etwa beim Berliner Teufelsberg – der nach Abschluss der Schuttablagerung 1972 renaturiert wurde –, fehlen ebenfalls.4 Der heutige, vermeintlich naturbelassene Zustand lässt sich einzig durch die spontane Aneignung des städtebaulichen Vakuums durch Anwohner sowie durch das Einwirken sogenannter Spontanvegetation erklären lässt.

Was blieb, war das Nebengebäude.
Die ehemalige Jugendsynagoge ist heute der einzige erhaltene Teil des einstigen Ensembles. Hinter Zaun, Baum und Laub verborgen, markiert sie den Ort, an dem sich einst der monumentale Portikus der Hauptsynagoge erhob.
© Daniel Yakubovich.

Wider das Überbauen des Unsichtbaren – Architektonische Rücksicht zwischen Nachbarschaft, Topographie und Gedächtnisraum

Aus alledem ergeben sich planerische Konsequenzen, die das künftige Gebäude in seiner Grunddisposition beeinflussen dürften:

1) Die unterirdischen Ebenen sind – nicht nur aus religiös-ethischen, sondern auch aus Pietätsgründen jeglicher Bebauung zu entziehen. Hier könnte sich das Allerheiligste der früheren Synagoge befunden haben.

2) Auch aus statischen Gründen ist von einer Überbauung abzuraten. Eine ungleichmäßige Setzung wäre ebenso wahrscheinlich wie ein unkalkulierbarer Mehraufwand. Archäologische Sondierungen erscheinen dringend geboten.

3) Die Erhebungen könnten darüber hinaus als Pufferzonen zu den angrenzenden Wohnhäusern dienen. Eine Rekonstruktion nach historischem Vorbild – wie derzeit vorgesehen – blendet die Eigenlogik der durch die Sprengung entstandenen Leerstelle ebenso aus wie die legitimen Belange der Nachbarschaft, deren Aneignung des Geländes auf einem Gewohnheitsrecht fußt.
Ein Teil des zerstörten Baukörpers – Gemarkung Kreuzberg, Flur 3, Flurstück 2547 – ist vermögensrechtlich dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und damit dem Land Berlin zugeordnet.

Zu 1: Die Annahme, dass unter dem Gelände Reste der alten Synagoge schlummern, evoziert das Bild eines unterirdischen Kolosses – gleichsam eines neolithischen Grabhügels –, der nicht gestört werden darf und ein unsichtbares Spannungsfeld erzeugt, das den Neubau in seine Form zwingt. Daraus ergibt sich ein erster Entwurfsansatz: Die Reste des Vergangenen werden nicht negiert, sondern in die künftige Architektur integriert.

Zu 2: Durch die Einbeziehung der Hügel können Überraschungen im Bauverlauf antizipiert werden. So lassen sich Zeitverzögerungen und Mehrkosten vermeiden – schlicht, indem man mit dem Unvorhergesehenen rechnet.

Zu 3: Die Nachbarschaft behält einen Teil ihres gewachsenen Grünraums – samt Blick auf die Freiflächen und Fenster in den Brandwänden. Das spricht für eine kompakte Bauform mit grünem Saum, landschaftsarchitektonisch qualifiziert, aber nicht überformt. Der Neubau wird dadurch nicht in Beton versenkt, sondern findet in der topographisch eigenwilligen Struktur des Geländes seine angemessene Einbettung – mit respektvoller Distanz zu den Nachbarn, die, wie mir berichtet wurde, nicht zuletzt aus Sicherheitsbedenken skeptisch gegenüber einem möglichen Anschlagsziel in direkter Nachbarschaft sind. Die Fenster in den Brandwänden – aller Wahrscheinlichkeit nach ungenehmigt eingebracht – würden im Zuge einer Neubebauung durch festverglaste, feuerbeständige Elemente ersetzt.5

So lässt sich das Konfliktpotential kiezgerecht entschärfen – anders als bei der aktuellen Planung, die wie 1916 direkt an die Brandwände der Nachbarhäuser heranreicht und diesen gegebenenfalls Fensterflächen entzieht. Es bedarf einer faire, konsensorientierte Lösung, die der besonderen sozialen Textur des Quartiers gerecht wird – und allen Beteiligten das Gefühl gibt, gehört worden zu sein.

Graphik/Diagramm: Lageplan mit Hügelresten.
© Daniel Yakubovich.

Im Magnetfeld des Ungeschehenen – Gravitation des Gedächtnisses als Entwurfsprinzip

Nicht als bloß spekulativer Gestus, sondern als genuine Entwurfsstrategie lässt sich jene Haltung beschreiben, in der unterirdische Kräfte – sedimentierte Geschichte, archäologische Topographien, erinnerungskulturelle Spannungsräume – nicht als passive Überbleibsel, sondern als aktiv formende Energiemilieus begriffen werden, denen das Sichtbare seine Gestalt verdankt. Dass also Architektur nicht nur auf Programmatik und Konstruktion antwortet, sondern mitunter aus einem Spannungsfeld hervorgeht, das sich dem Auge entzieht, belegen eine Reihe herausragender Beispiele der Gegenwartsarchitektur: Peter Zumthors Therme Vals,6 die sich aus der Tektonik des Felsmassivs gleichsam schichtweise herausschält; Daniel Libeskinds Jüdisches Museum7 in Berlin, dessen radikale Schnittführung das Abwesende – nicht das Gegebene – zum tragenden Ordnungsprinzip erhebt; oder Lina Bo Bardis SECS Pompeia, in dem das Fragmentarische nicht eingeebnet, sondern eigens in seiner Widerständigkeit räumlich inszeniert wird. Gemeinsam ist diesen Projekten das Ringen um eine architektonische Grammatik, die sich nicht aus standardisierten Bauformen speist, sondern aus einer inneren Spannung zwischen Ort, Geschichte und Materialität heraus entwickelt.

Wenn also auf dem Grundstück der ehemaligen Synagoge ein architektonischer Eingriff erfolgen soll, der nicht bloß Bebauung, sondern Ausdruck erinnerungskultureller Artikulation sein will, so kann dies nur gelingen, wenn die unsichtbaren Reste – der ehemalige Portikus, die vermuteten Kellerräume, das in der Erde ruhende Fundament eines einst heiligen Raums – nicht als bauliches Hindernis, sondern als entwerfende Kraft anerkannt werden: als unterirdischer Koloss, der wie ein Naturkörper wirkt, aufgeladen mit Geschichte, Widerstand und Gravitation. In diesem Sinne wäre der Neubau nicht als Dominante, sondern als Resonanzkörper zu verstehen, dessen Gestalt nicht bloß auf Funktion und Fassadenraster reagiert, sondern aus der uneingelösten Spannung zwischen Sichtbarem und Verlorenem hervorgeht – und gerade darin seine Würde behauptet.

Aus dieser Prämisse lässt sich ein architektonischer Grundsatz ableiten, der für das weitere Vorgehen bindend sein sollte: Nichts darf gebaut werden, das nicht auf das Ungebaute antwortet. Der Entwurf hat sich als eine Art choreographierte Annäherung zu verstehen – nicht an die verlorene Form als solche, sondern an ihre negative Präsenz, an das, was fehlt, aber dennoch Raum beansprucht. Dieses Prinzip einer „architektonischen Rücksicht“ – im doppelten Wortsinn von Rückschau und Rücknahme – könnte zum Leitmotiv einer Gestaltung werden, die es vermeidet, über das Unsichtbare hinwegzubauen, und stattdessen beginnt, es lesbar zu machen.

Lageplan. © Daniel Yakubovich.

© 2021 Daniel Yakubovich

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Asche zu Asche — neue Formen einer lebendigen Erinnerung

Überbauen des Unsichtbaren – zwischen Nachbarschaft, Topographie und Gedächtnisraum | Im Magnetfeld des Ungeschehenen – Gravitation des Gedächtnisses als Entwurfsprinzip

Siehe auch:

Teil II.

Projekt und Programm

Teil III.

Resonanz und Rezeption

Danksagung

urbi et orbi

© 2025 Daniel Yakubovich

Zur zweiten Auflage

ein einleitender Kommentar

© 2025 Daniel Yakubovich

Kay Zareh

eine Biographie

© 2023 Daniel Yakubovich

Glossar

Begriffe, die jeder kennen muss…

  1. vgl. Myra Warhaftig: Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933: Das Lexikon. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2005. ISBN 3-496-01326-3. Lexikon jüdischer Architekten mit biographischen und werkbezogenen Daten. ↩︎
  2. Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin, Abteilung für Verkehr, Grünflächen, Ordnung und Umwelt, Straßen- und Grünflächenamt, Fachbereich Öffentlicher Raum — SGA III D 3 (Stand: 2021) ↩︎
  3. Der „Trümmerschein“ diente in der Nachkriegszeit als Nachweis für die vollständige Räumung eines zerstörten Baugrundstücks. ↩︎
  4. Der Teufelsberg entstand aus rund 26 Mio. m³ Trümmerschutt und wurde nach 1972 als „Berg“ rekultiviert. ↩︎
  5. Eine vergleichbare bauliche Lösung wurde beim Erweiterungsbau der Jüdischen Oberschule in Berlin-Mitte realisiert, um auszuschließen, dass aus den benachbarten Gebäuden ein gefährdender Zugriff auf den Innenhof erfolgen könnte – etwa durch das Einwerfen eines Sprengkörpers. ↩︎
  6. vgl. Peter Zumthor: Therme Vals. Baden: Lars Müller Publishers, 2007. ↩︎
  7. vgl. Libeskind, Daniel: Radical Architecture, London 1999; oder: Jüdisches Museum Berlin. Architekturführer, Berlin: JMB, 2010. ↩︎
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