
Acryl auf Baumwollmischgewebe, auf selbsttragendem 4-cm-Keilrahmen, 80 × 80 cm, verso bezeichnet und signiert mit schwarzem Fineliner auf acryliertem Grund
Darstellung eines weiblichen Aktes vor dekorativ-abstrahiertem Hintergrund
Inv.-Nr. DY-2021-A-001
© Daniel Yakubovich.
Ägypten gibt es in diesem Bild nur als Tapete. Kein Nil, kein Tempel, kein Sand – stattdessen erzählt diese Malerei von der wohlklimatisierten Luft eines Wiener Museumssaals, einer Berliner Ikone und einem nackten Rücken von heute. Eine junge Frau ist so weit nach vorn in sich selbst hineingebogen, dass ihr Körper eher Zeichen als Körper wird, die Arme wie in einem Gebet aufgespreizt. Dazwischen breitet sich ein goldblaues Geflecht aus Federn, Bändern und hieroglyphischen Zeichen aus – ein ornamental verdichtetes Zitat der abendländischen Museumsgeschichte und der Ägyptomanie des 19. Jahrhunderts. „Elifên“ erzählt Ägypten nicht unmittelbar, sondern als zweite, dritte, vierte Ableitung…
Die Tapeten: Beni Hassan in Wien
Die ornamentale Wand hinter der Figur ist eine bewusst verfremdete Wiedergabe jener berühmten „Tapeten“, die seit 1891 die Schauräume I, II und V der ägyptischen Sammlung im Kunsthistorischen Museum in Wien kleiden. Diese wiederum sind exakte Reproduktionen von Wandmalereien aus dem Felsgrab des Gaufürsten Chnum-hotep II. in Beni Hassan in Mittelägypten (Mittleres Reich, um 1870 v. Chr.). Die Vorlagen zeichnete der deutsche Maler Ernst Weidenbach während der Preußischen Expedition nach Ägypten und Nubien1 in den Jahren 1842–1845 direkt im Grab ab.
Für die Wiener Weltausstellung 1873 wurden diese Abzeichnungen auf Karton übertragen und zu großen Bildbahnen zusammengesetzt, mit denen man in der Rotunde einen vollständigen Nachbau des Grabes präsentierte. Nach Ende der Ausstellung wurden die bemalten Kartonbahnen in das neuerrichtete Kunsthistorische Museum verbracht, wo sie sich — wie Tapeten mit Leim fixiert — bis heute befinden.
Die originalen Grabmalereien von Beni Hassan zeigen das gesamte Repertoire mittelägyptischer Bildwelt: Wüstenjagden mit fantastischen Fabelwesen, Zugtiere, Ringer, Musikanten, Handwerker, Prozessionen und eine Karawane aus „Asiaten von Schu“2, die als fremde Händler mit bunt gemusterten Gewändern, Kindern und Vieh auftreten. Charakteristisch sind die flächig aufgetragenen Mineralfarben – Ocker, Rot, Blau, Grün – mit klaren schwarzen Konturen, ohne Licht- und Schattenmodellierung. Diese Art der Darstellung erinnert an die orthodoxe Ikonenmalerei der Ostkirchen, deren Formsprache und charakteristische Darstellungsweisen von Heiligen und Engeln sich jeder irdischen Leiblichkeit entsagen und daher keine Schatten werfen. Die Orthodoxie verfügt über einen streng reglementierten Kanon von Vorgaben zu Gestik, Mimik und einem reduzierten Farbspektrum. Weiterhin fehlt es der Ikonenmalerei – wie auch den ägyptischen Grabmalereien – an Perspektive. Selbst die Größenunterschiede zwischen den Figuren sind eher als metaphorische Aussagen zu den hierarchischen Verhältnissen zu lesen denn als räumliche Entfernung vom Betrachter im Sinne perspektivischer Tiefe zu deuten. Die Ikonenmalerei verfügt sogar über eine inverse Perspektive, bei der entfernte Objekte alogisch größer dargestellt werden.

Über hundert Jahre blieben diese Kartonbahnen nahezu unangetastet, bis sie zwischen 2019 und 2023 erstmals umfassend restauriert wurden. Schadenskartierungen hatten gezeigt, dass sie stark verschmutzt waren, an vielen Stellen vom Untergrund abzulösen drohten und alte Retuschen sich dunkel abzeichneten. 2021 wurden die Bahnen teilweise abgenommen, in der Werkstatt gereinigt, von hinten verstärkt und anschließend wieder an den sanierten Wänden befestigt; zugleich wurden die historischen Deckenmalereien gereinigt. Die Restauratoren folgten dabei einem strengen Kodex, wonach Retuschen nur in feiner Punktierung oder wahlweise als Liniennetze ausgeführt werden sollen, nie als vollflächige Übermalung, damit spätere Generationen sollen die Eingriffe lesen können und diese reversibel bleiben.
Im Bild „Elifên“ wird dieses museale Dekor gespiegelt und verdichtet. Es geht nicht mehr um die malerische Reproduktion konkreter Erzählszenen, sondern um einen ornamentalen Rhythmus, der den weiblichen Körper zwischen goldenen vertikalen Streifen wie in einem Käfig umschließt.



Klimts — der Vogel im Treppenhaus
Der großflächige Vogel hinter der Figur – irgendwo zwischen Falke, Geier und Adler – verweist auf eine zweite Wiener Ägypten-Erfahrung: Gustav Klimts Spandrel-Bild3 im großen Stiegenhaus4 des Kunsthistorischen Museums [Abk.: KHM]. Klimt, sein Bruder Ernst und Franz Matsch schmückten 1890/91 die Zwischenfelder über den Arkaden mit Personifikationen der wichtigsten Kunstepochen. Die ägyptische Allegorie zeigt eine stehende nackte Frau vor ornamentalem Hintergrund, der architektonische Motive, Hieroglyphen, die Götter Horus und Thot sowie den Geier der Göttin Nechbet zu einem goldglänzenden Geflecht verbindet. Das daneben befindliche Interkolumnium, das derselben Kunstepoche gewidmet ist, stellt eine Komposition unterschiedlicher ägyptischer Objekte dar, darunter Sarkophage, Statuen und Papyros-Rollen dar.
Klimt malte eine moderne, europäische Nackte – eine radikale Abweichung von der altägyptischen Konvention, die nackte Körper fast ausschließlich bei Kindern oder Besiegten zuließ. Zugleich verschmilzt er ihre Züge mit den Gesichtern der dargestellten Grabfiguren und Särge und spielt damit auf die Durchlässigkeit zwischen lebendem Körper, Statue und Kultbild an.
„Elifên“ übernimmt aus dieser Klimt-Welt nicht die ganze Szene, sondern einen Ausschnitt: den großen, symmetrischen Vogel mit seinen bunten Flügeln. In der Kombination mit den Beni-Hassan-Tapeten wird der Vogel zu einer Melange aus nostalgischer Fernweh, kunstwissenschaftlicher Präzision und Dekorlust im Sinne der Salonmalerei des 19. Jahrhunderts.
Nofretete — zwischen Restitutionsforderungen und gesundem Menschenverstand
Links im Bild blickt die Büste der Nofretete in die Ferne. Die schönste Berlinerin, eine bemalte Kalkstein- und Stuckskulptur aus dem Amarna-Atelier des Bildhauers Thutmosis (um 1345 v. Chr.), wurde 1912 von einer deutschen Expedition in Tell el-Amarna gefunden und befindet sich seit 1913 in Berlin, heute im Neuen Museum. Wie die meisten Werke von Thutmosis blieb auch die Nofretete-Büste unvollendet. Sie gilt als eine der meistkopierten Skulpturen der Welt und als Inbegriff eines europäischen Ideals weiblicher Schönheit – und zugleich ein Prüfstein dafür, ob Europa seine gewachsenen Museumssammlungen bewahren darf, ohne sich im Gestus spät entdeckter, linkspopulistischer Selbstanklage selbst zu demontieren. Gerade an ihr ließe sich exemplarisch zeigen, dass kulturelles Erbe nicht durch symbolische Rückgaben „geheilt“ wird, sondern durch jene Institutionen, die seinen Erhalt, seine Wertschätzung, Erforschung und die öffentliche Zugänglichkeit seit über einem Jahrhundert garantieren. Auffällig ist, dass die Befürworter einer vermeintlich geschichtssensiblen, empathischen Resititution der Nofretete kaum je die gegenläufige Frage stellen, ob diese Büste, die seit über einem Jahrhundert in Berlin präsent ist, nicht längst selbst Teil einer spezifisch Berliner Identität geworden ist – eines urbanen Gedächtnisses, das man nicht ohne weiteres zur Disposition stellt. Man könnte sie ebenso gut als ägyptische Botschafterin in Deutschland begreifen, als dauerhaft akkreditierte Gesandte eines anderen Kulturrraums im Neuen Museum, wie es ein Diplomat anlässlich der Eröffnung des Großen Ägyptischen Museums in Kairo formulierte – und damit als Figur, deren transnationale Biographie differenziertere Antworten verlangt als eine unterkomplexe Rückführungsforderung in ein nationalstaatlich gedachtes „Ursprungsland“.
Wie unterkomplex solche Rückführungsforderungen und ihre politische Inszenierung ausfallen können, zeigte jüngst die Restitution der Benin-Bronzen: 2022 vereinbarte die Bundesregierung unter Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth eine „bedingungslose Rückgabe“ an Nigeria, ohne verbindlich zu klären, unter wessen Kuratel dieses als Weltkulturerbe verstandene Konvolut künftig stehen und wie seine öffentliche Zugänglichkeit dauerhaft gesichert werden sollte. Wenige Monate später übertrug der damalige nigerianische Präsident Buhari das Eigentum an den Bronzen per Dekret dem Oba von Benin, also dem Oberhaupt jener königlichen Familie, die historisch selbst in Sklavenhandel und Gewalt verstrickt war – ein Schritt, der in Deutschland bis in den Bundestag hinein als „Debakel“ und Folge mangelnder Weitsicht kritisiert wurde, weil die Objekte damit faktisch in eine königliche Privatdomäne zu wandern drohen. Im Lichte einer solchen Symbolpolitik wirkt die Figur der Nofretete als transnationale Akteurin fast wie ein Gegenentwurf: Sie verweist gerade durch ihre komplexe Biographie darauf, dass verantwortlicher Umgang mit kulturellem Erbe mehr verlangt als performative Gesten moralischer Reinigung – nämlich belastbare institutionelle Arrangements, die Mehrfachzugehörigkeiten anerkennen, Zugänglichkeit sichern und historische Verantwortung nicht in medienwirksamen Augenblicken, sondern in langfristigen Strukturen austragen.
Hinzu kommt, dass das heutige Staatswesen Ägypten nur sehr vermittelt mit jenem pharaonischen „Ägypten“ identisch ist, dessen Geistes- und Bildwelt eine Büste von so unikaler Perfektion entsprang – so wenig, wie Rom der Gegenwart mit dem Imperium Romanum gleichgesetzt werden kann oder die heutige griechische Republik nahtlos mit der attischen Poliswelt verschmilzt. Die antiken Kulturen, auf die sich moderne Staaten gern berufen, sind eher ferne genealogische Bezugspunkte als juristisch eindeutig zuordenbare Eigentümer. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Verbleib der Büste in Berlin nicht als Verweigerung von Gerechtigkeit, sondern als Plädoyer für eine geteilte Verantwortung: Ägypten und Europa, Kairo und Berlin, sind gemeinsam in die Pflicht genommen, dieses Objekt in Berlin zu erforschen, zu kontextualisieren und zugänglich zu halten – ohne dass die eine Seite ihr Gedächtnis vollständig an die andere abtritt.
Während Nofretete unberührt und ikonisch bleibt, scheint der lebendige Körper vor ihr einzuknicken, als würde er sich vor einem unerreichbaren Schönheitsmaß verbeugen. Die Geste hat etwas Verehrendes, aber auch etwas Gewaltsames. Man könnte auch sagen: Hier verhandeln sich zwei Ansprüche auf Gegenwart – der einer global zirkulierenden Ikone und der eines einzelnen Körpers –, und vielleicht ist die eigentliche Zumutung des Bildes, dass es uns zwingt, zu entscheiden, welchem dieser beiden wir unsere Loyalität schenken.



Elifên – der Wüstentraum
Der Titel „Elifên“ entstammt einem schmalen Band des deutschen Ägyptologen und Schriftstellers Georg Ebers (1837–1898). Ebers, bekannt durch seine historischen Romane „Eine ägyptische Königstochter“ oder „Cleopatra“ sowie durch die Edition des medizinischen Papyrus Ebers5, veröffentlichte 1887 bei der Deutschen Verlags-Anstalt die poetische Erzählung „Elifên. Ein Wüstentraum“. Sie gehört zu jener Form von Literatur, die zwischen wissenschaftlich-methodologischen Ägyptologie und einer durch Sonnenstiche zu diagnostischer „Überhitzung des Kopfes“ gesteigerten Wüstenphantasie changierte: Kamele und Karawanen, Sternnächte und Sandstürme.
Das Gemälde greift nicht die konkrete Handlung des Buches auf, sondern dessen Grundstimmung: den Traumcharakter einer von Europa aus imaginierten Wüste.

Zwischen Objekt und Körper
In dieser Überlagerung von Beni-Hassan-Tapeten, Klimt-Zitaten, Nofretete und Ebers’ „Wüstentraum“ verhandelt das Bild letztlich eine einfache Frage: Was richten diese überhöhten Bilderwelten mit einem gegenwärtigen Körper an? Die Figur im Vordergrund ist weder Opfer noch Heldin, weder archäologische Rekonstruktion noch dekoratives Ornament. Sie steht – oder verbeugt sich – genau dort, wo wir selbst stehen: zwischen Faszination für die Schönheit der Objekte und dem Bewusstsein, dass diese Schönheit immer schon gefiltert, reproduziert, musealisiert ist.
„Elifên“ ist damit weniger eine Hommage an Ägypten als eine Reflexion darüber, was von Hochkulturen bleibt: Tapeten, Treppenhausbilder, Bestsellerromane, Statuetten und Kühlschrankmagneten „Made in China“ – Endstation aller Hochkulturen, bevor der erschöpfte Symbolvorrat ganz im Sinne Spenglers im Restmüll der Geschichte landet.
- „Nubien“ bezeichnet eine historische Region, etwa im Bereich des heutigen Sudan, irgendwo zwischen dem ersten und sechsten sogenannten Nil-Katarakt, einer Art schwer passierbare Schnelle im Flussverlauf. ↩︎
- Die „Asiaten von Schu“ dürften eine Gruppe westasiatischer Händler gewesen sein, die auf der Nordwand des Grabes in Beni Hassan dargestellt sind. Die begleitende Inschrift verzeichnet sie in einer Art Lieferliste als 37 „Asiaten von Schu“, die unter Führung eines lokalen Fürstensohnes Augenschminke (mesdemet) nach Ägypten bringen – für einige ein früher, bildmächtiger Hinweis auf diplomatisch-ökonomische Kontakte zwischen der 12. Dynastie und der südlichen Levante, für andere der Beweis, dass Eyeliner schon immer en mode waren. Auf die spezifische Bezeichnung „von Schu“ verweist u. a. Christian Wastlhuber, der den Passus in seiner Dissertation zu den Beziehungen zwischen Ägypten und der Levante zitiert und kommentiert (Liste der „Asiaten von Schu“, Gesamtzahl 37).
Vgl. Christian Wastlhuber, Die Beziehungen zwischen Ägypten und der Levante während der 12. Dynastie. – Ökonomie und Prestige in Außenpolitik und Handel –, Diss. Ludwig-Maximilians-Universität München, München 2010, S. 86.n zu Chnumhotep gebracht werden; Wastlhuber übersetzt das ausdrücklich als „Asiaten von Schu, zugehörige Anzahl 37“. ↩︎ - Ein „Spandrel“ ist die Bezeichnung für eine dreiecksförmigen Raum zwischen zwei Rundbögen oder für den Raum zwischen einem Rundbogen und seinem rechtwickeckigen Rahmen. Der Begriff wurde für die Evolutionstheorie entlehnt und beschreibt evolutionsbiologische Entwicklungen, bei denen Nebenprofukte einer überlebensnotwendigen Anpassung nachträglich als funktional und nützlich erweisen. Fuction follows form, wenn man so möchte. ↩︎
- Wir Deutsche sagen ganz normal „Treppe“ dazu… ↩︎
- Der in Luxor von Georg Ebers entdeckte und nach ihm benannte medizinische Papyrus – eine rund 18 bis 20 Meter lange Sammelhandschrift aus dem 16. Jh. v. Chr. mit 108 Kolumnen und hunderten Rezepturen – gilt als umfangreichste Quelle zur altägyptischen Heilkunde und verbindet erstaunlich nüchterne Beobachtungen zu Herz, Gefäßen, Parasiten, Augen- und Hautkrankheiten mit Beschwörungen gegen Dämonen, Tipps zur Empfängnisverhütung und Mitteln bei Haarausfall. Man könnte sagen: ein frühes Komplettpaket aus Facharztpraxis, Dr. Sommer mit etwas Tiermedizin, Apothekenrundschau und Esoterik-Newsletter – nur eben auf Papyrus und heute in der Universitätsbibliothek Leipzig statt im Wartezimmer. ↩︎

