
Dürfen wir Synagogen rekonstruieren, wenn wir Schlösser wiederaufbauen? Würde das die Integrität des Judentums in Deutschland festigen, oder ließe es die Zerstörung, das Leid und die Vernichtung vergessen, als hätte es sie nie gegeben? Ist die Rekonstruktion einer Synagoge ein Neuanfang oder der neue Anfang vom Ende, wenn die Zerstörung zu einem Subplot in der Geschichte dieser Bauten wird? Wie kann eine zeitgemäße, neue Form der Erinnerungskultur aussehen, wenn die letzten Zeitzeugen gehen und die schmerzende Leere anstelle der einst so stolzen Bauten immer seltener als solche empfunden wird? Was bedeutet es, eine moderne Synagoge in Deutschland zu bauen? Was bedeutet es, eine alte zu rekonstruieren? Kann beides zusammengehen? Und wenn ja, wie?
Die vorliegende Arbeit, entstanden im Rahmen des Master-Abschlusses an der Universität der Künste Berlin unter Betreuung von Kay Zareh (1943–2025), einem der prägenden Synagogen-Architekten Berlins, geht diesen Fragen nach und entfaltet einen poetischen wie realistischen Gegenvorschlag zu der ursprünglich geplanten Rekonstruktion: nicht Kulisse, nicht Kopie, sondern eine präzise Antwort auf einen schwierigen Ort, der zugleich Schutzraum und offenes Haus, Gedächtnisort und Werkstatt der Gegenwart sein soll. Diese Arbeit kommt dem Wunsch einer Rekonstruktion indirekt nach, ohne zurückzuholen, was unwiederbringlich verloren ist. Zugleich wurden Erkenntnisse gewonnen, die das Bauvorhaben erheblich beeinflussen dürften, nachdem sie öffentlich diskutiert wurden.
So entstand eine Monographie aus architekturtheoretischen Essays, Entwurfsstudien und einer fachlichen wie auch sehr persönlichen Auseinandersetzung mit der Frage, was es bedeutet, heute eine Synagoge zu bauen. Ausgangspunkt in Denken wie Planen war dabei die Synagoge des Gemeindebaumeisters Alexander Beer (1873–1944) am damaligen Kottbusser Ufer (heute Fraenkelufer) in Berlin-Kreuzberg, einst größte orthodoxe Gemeindesynagoge der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit rund 2.000 Plätzen, 1938 verwüstet, 1958 gesprengt, heute reduziert auf ein viel zu kleines Nebengebäude, das unter chaotischem Platzmangel versucht, eine wachsende, jüngere, oft migrantisch geprägte Gemeinde zu beherbergen.
Mehrere einleitende Kapitel zu rekonstruktionstheoretischen, erinnerungskulturellen und identitätspolitischen Ansätzen bilden die Grundlage, auf der sich das geplante Gebäude im Laufe der weiteren Buchseiten entfaltet und illustriert, wie die theoretischen Überlegungen entwurfspraktisch übersetzt werden:
Der erste Teil des Buches zeichnet die Geschichte der Berliner Synagogen nach und beschreibt jene „Dialektik zwischen Freiheit und Unterdrückung“, in der jüdische Kultbauten immer schon standen: zwischen Sichtbarkeit im Stadtraum und Diskretion, zwischen stilstischer Nähe zu christlichen Gotteshäusern und alhambresken Moscheezitaten. Zugleich wird die aktuelle politische Gemengelage seziert: aus architekturhistorischer Sicht unreflektierte Losungen der Politik, die in der vielzitierten Formel kulminieren: „Eine Stadt, die Schlösser aufbaut, sollte auch Synagogen aufbauen“, der Rekonstruktionsgestus im „besten Deutschland, das wir je hatten“ – und die Frage, ob der Wiederaufbau historischer Hüllen wirklich eine Antwort auf Pogrome, Shoah und Gegenwartsantisemitismus ist oder nur eine wohl verpackte Form des Vergessens.
In mehreren Kapiteln entfaltet sich daraus ein Gegenentwurf zu der ursprünglich geplanten historisierenden Rekonstruktion: ein Gemeinde- und Kulturzentrum, das die Geschichte ernst nimmt, ohne sie zu musealisieren. Das Buch führt gewissermaßen Geschoss für Geschoss durch dieses gedachte Haus: vom Erdgeschoss als Ausstellungsebene über ein Treppenhaus, das biblische Lichtmetaphern räumlich interpretiert, hinauf zum Konzertsaal, zur Bibliothek, zur Festtagssynagoge hoch über dem Landwehrkanal, weiter zur Verwaltungsebene und schließlich in ein Dachgeschoss, das als hortus conclusus – ein verschlossener Garten – eine beinahe kontemplative Antwort auf die Trümmerlandschaft darunter gibt.
Den Abschluss bildet ein rezensierender Teil, der die Berichterstattung zum Entwurf bündelt, gefolgt von einem wissenschaftlich fundierten Glossar. Das zweisprachige Buch versammelt historische und aktuelle Lichtbilder, Pläne, Schnitte, Axonometrien, Modellphotographien aus dem Arbeitsprozess, Diagramme zum Berliner Synagogenbestand vor und nach 1938, technische Datenblätter sowie zahlreiche Zeichnungen und Collagen, die den Entwurf greifbarer machen.
Methodisch basiert das Buch auf einer recht untypischen Verschränkung: eigene Migrationsgeschichte als jüdischer Kontingentflüchtling, zwölf Jahre jüdische Schulbildung in Berlin, anschließend sieben Jahre Architekturstudium, jahrelange Beschäftigung mit der Rekonstruktion des Berliner Schlosses / Humboldt Forums als großem nationalen Erinnerungs-Bauprojekt – und die enge Zusammenarbeit mit Kay Zareh, der mit seiner Frau als „Haus- und Hofarchitekten“ der Jüdischen Gemeinde zahlreiche Bauvorhaben für das jüdische Leben in Berlin realisiert haben, darunter die Sanierung, Restaurierung und Wiederherstellung der größte Synagoge Deutschlands in der Berliner Rykestraße. Daraus entsteht eine jüdisch-berlinerisch-architektonische Perspektive, die im öffentlichen Diskurs zum Fraenkelufer bislang auffallend fehlt und die hier bewusst gegen den wohlfeilen Rekonstruktionsenthusiasmus des politischen Betriebs gestellt wurde.
Die Themen, Fragen, Erkenntnisse, Rezensionen, Interviews und Schlussfolgerungen, die in dieser Monographie gesammelt wurden, ergänzen einen bestehenden Diskurs, dem eine solche Perspektive bislang fehlte. Keine Rekonstruktion um der Photogenität willen, kein Fortschritt ohne Herkunft: Der Entwurf am Fraenkelufer begreift die Ruine als leises Fundament, entzieht sich dem Reflex der historischen Maske und entwickelt aus Programm, Topographie und Nachbarschaft eine synagogale Synthese, die die Dialektik von Vergangenheit und Zukunft sichtbar macht – als lebendige Erinnerung, die in die nächste Generation hinüberreicht und dort nicht bloß erinnert, sondern gebraucht wird.
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Wer dieses Buch erwerben möchte und sich dafür interessiert, wie man zwischen Berliner Schlossfetischismus, Rekonstruktionsromantik und sehr realem jüdischem Alltagsleben eine Positionierung findet, ist herzlich eingeladen, eine Nachricht zu schreiben – am einfachsten per E-Mail an daniel@yakubovich.berlin mit einem kurzen Hinweis, dass es um die Bestellung des Synagogen-Buches geht. Ich melde mich dann persönlich mit Informationen zu Verfügbarkeit, Preis und Versandmodalitäten zurück.
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