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Daniel Yakubovich
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  • Synagogenbau
    • Zur zweiten Auflage
    • Teil I. Geschichte und Gegenwart
      • Synagogen — eine Dialektik zwischen Freiheit und Unterdrückung
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      • Jegliches hat seine Zeit — Steine zerstreuen und Steine aufsammelnnach
      • Vom Phantom zum Entwurf – die Rykestraße als Echo eines Raumes, der nicht mehr ist
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      • Blick hinter die Kulissen
    • Teil III. Resonanz und Rezeption
      • Gesendet: Gespräche, die bleiben…
      • „Architektur kann kein Trauma heilen“
      • „Geschichte kann man nicht zurückbauen“
      • „Wie soll der Wiederaufbau aussehen?“
      • „Synagogen entwerfen ohne Juden?“
      • „Man macht das Zerstörte architektonisch ungeschehen“
      • Nachwort (2025)
    • Danksagung
    • Kay Zareh (1943–2025)
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Daniel Yakubovich Daniel Yakubovich

Zwischenraum

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Wenn Du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in Dich hinein

Friedrich Nietzsche

Passages Portbou


Mit dem Ende des Treppenaufstiegs gelangt der Besucher schließlich auf die letzte Ebene, bevor er die große Festtagssynagoge betritt. Er schreitet über einen Glasfußboden, unter dem sich – gleichsam als Echo vergangener Zeiten – mögliche Reste des Altars abzeichnen, die er, ähnlich dem Gedenkort Passagen, zwar sehen, aber nicht berühren kann.1

Dieser Raum ist kein Ort im herkömmlichen Sinne. Er ist ein Dazwischen, ein gefasster Moment zwischen Sichtbarkeit und Verbergen, zwischen Ankommen und Nicht-Berühren.2 Wie eine begehbare Erinnerung öffnet sich der Zwischenraum nicht nur architektonisch nach oben, sondern existenziell nach innen.3 Wer hier steht, steht über Abgründen – aus Glas, aus Geschichte, aus sich selbst. Die rohe Sichtbetonwand, die der Besucher berührt, erinnert an die Klagemauer – und doch ist sie leer: ohne Zettel, ohne Ritzen, ohne Texte. Eine Wand des Schweigens4, ihrer liturgischen Funktion beraubt, verweigert sie jede Projektionsfläche und wird so zum Widerbild einer Erinnerung, die sich nicht fassen lässt.

So wie Dani Karavans Passage in Portbou sich nicht mit dem Aufgehobensein tröstet, sondern in einer symbolischen Sackgasse endet, so verweigert auch dieser Raum jede bloße Narration. Es ist nicht der Besucher, der den Raum durchschreitet – es ist der Raum, der den Besucher prüft.5 Er stellt ihn auf den Prüfstein einer leisen, beinahe unmerklichen Erschütterung, in der jeder Schritt zugleich ein Innehalten ist: Eine schlichte, zum Wasser hinabführende Treppenanlage, die abrupt an einer Glasplatte endet, erinnert heute in Portbou an sein Schicksal. Der Besucher kann die Stufen hinabsteigen – aber das Meer nicht berühren. Und doch scheint die Freiheit zum Greifen nah.

Das Denkmal des im Mai 2021 verstorbenen israelischen Bildhauers für Walter Benjamin – errichtet unweit des katalonischen Portbou, wo sich der Philosoph das Leben nahm – versinnbildlicht in ebenso einfacher wie rührender Weise die Flucht des Herzkranken vor der Gestapo: über Frankreich und Portugal in Richtung USA. Eine Flucht, die er, gesundheitlich geschwächt, nur langsam zurücklegen konnte.
Nachdem den Flüchtenden aufgrund einer neu erlassenen Verordnung in Spanien die Weiterreise verweigert worden war – was eine Abschiebung zurück nach Frankreich und damit eine unmittelbar drohende Festnahme durch die Geheime Staatspolizei bedeutet hätte –, sah sich Walter Benjamin so kurz vor seinem Fluchtziel, der Überquerung des Atlantiks von Portugal nach Amerika, genötigt, sich das Leben zu nehmen – offenbar mit einer Überdosis Morphiumtabletten.

„In dieser ausweglosen Situation habe ich keine andere Möglichkeit, als sie zu beenden. Mein Leben wird ein Ende finden in einem kleinen Dorf in den Pyrenäen, wo mich niemand kennt.“6

Vorraum der Festtagssynagoge. © Daniel Yakubovich.

Auch die Glasplatten unter den Füßen der Synagoge scheinen nichts zu tragen.7 Und gerade in diesem tastenden Gehen – das dem Schweigen mehr gleicht als dem Schritt – entsteht jene eigentümliche Form von Andacht, die nicht gebetet, sondern nur ertragen werden kann. Damit ist das Entrée der Synagoge in vielerlei Hinsicht der radikalste aller Räume: Der gläserne Boden evoziert die Unsicherheit der Gegenwart: jede Bewegung eine Entscheidung, jeder Schritt ein Wagnis.

Wie über Grabplatten im Boden jahrtausendealter Kathedralen, deren Aufschriften durch die unzähligen Fußtritte der Jahrhunderte glattpoliert wurden, geht der Besucher auch hier über eine glänzende Glasfläche hinweg – mit Blick auf einen grabähnlichen Hügel. Doch anders als in der Kathedrale schreitet der Mensch hier nicht in den Raum – sondern über. Der Glasboden ist kein architektonisches Element, sondern ein Prüfstein. Wer ihn betritt, betritt das Gedächtnis – und verliert die Unschuld des Nichtwissens.

Die Angst zu überwinden bedeutet auch, Gott näher zu kommen. Denn Gott ist die Überwindung der Angst. Gott ist das Leben.

Bibliothek. © 2022 Daniel Yakubovich

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Amalgam

Klezmer, Kino, Klub

© 2022 Daniel Yakubovich

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Festtagssynagoge und Dachterrasse

zwischen Sichtbarem und Verborgenem

Siehe auch:

Im Moment der Sprengung. …die Behörden nennen es Beräumung, die Photographie zeigt eine negative Liturgie: ein kurzer Rauchaufstieg als endgültiges „Amen“ aus Stein; der Körper verschwindet, die Verpflichtung des Ortes bleibt.

Teil I.

Geschichte und Gegenwart

Teil III.

Resonanz und Rezeption

Danksagung

urbi et orbi

© 2025 Daniel Yakubovich

Zur zweiten Auflage

ein einleitender Kommentar

© 2025 Daniel Yakubovich

Kay Zareh

eine Biographie

© 2023 Daniel Yakubovich

Glossar

Begriffe, die jeder kennen muss…

  1. Der transparente Boden als „Sehen-ohne-Berühren“ erinnert an museale Sichtfenster über Ausgrabungen und an Karavans „Passages“. Archäologische Transparenz als ethische Distanz. ↩︎
  2. „Dazwischen“ als Schwellenraum (Liminalität) im Sinne Victor Turners; architektonisch: kontrollierte Ambiguität statt eindeutiger Programmzuweisung. ↩︎
  3. Erinnerungsarchitektur, die „nach innen“ weist: Pierre Noras lieux de mémoire als kollektive Speicher, ergänzt um Aleida/Jan Assmanns kulturelles Gedächtnis. ↩︎
  4. „Wand des Schweigens“: James E. Youngs Konzept des Gegen-/Anti-Denkmals – Erinnerung durch Leerstelle, nicht durch heroische Figur. ↩︎
  5. vgl. Raum als Akteur: phänomenologische Wendung (Merleau-Ponty) – der Leib als „beredter Körper“, der durch die räumliche Situation affiziert und in Handlung versetzt wird. Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception
    (Paris: Gallimard, 1945), insbes. Teil I, Kap. 3. ↩︎
  6. Ute Grasshoff / Ruth Sandhagen: Benjamins Abschiedsbrief aus Port-Bou vom 25.9.1940,
    Frauenarchiv der Philosophischen Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,
    online unter: https://wwwalt.phil.hhu.de/frauenarchiv/verboten/aus/benjamin_abschied.html
    (abgerufen am 28. November 2025). ↩︎
  7. Glas als „tragendes Nichts“: Strukturglas/Verbundsicherheitsglas erzeugt kognitive Dissonanz zwischen optischer Leere und realer Tragfähigkeit. ↩︎
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